Es ist immer wieder eine Freude mitzuerleben, mit wieviel Engagement und Begeisterung die Gärtnerinnen und Gärtner im Botanischen Garten neue, anspruchsvolle Projekte realisieren. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Lars Leonhard, der Reviergärtner für den Kuppelbereich, schon seit längerer Zeit den Wunsch hatte, eine sogenannte Grüne Wand oder Natural Greenwall mit Zimmerpflanzen im Botanischen Garten anzulegen. Ermuntert durch den Zuspruch seiner Kollegen begann der gelernte Zierpflanzengärtner 2020 das Experiment mit zunächst einer Wand, der nach dem erfolgreichen Start 2021 eine Weitere folgte.
Die Ausbildungshalle mit ihrer konstanten Lufttemperatur von 20° Celsius und ohne direkte Sonneneinstrahlung bietet die idealen Bedingungen für die Anlage einer vertikalen Wand. Voraussetzung für den Bau ist ein System, das den Pflanzen an der Wand Halt gibt. Nach einigen Recherchen entschied sich Lars Leonhard für Vliesmatten mit einer Größe von je einem Quadratmeter, in die 36 Pflanztaschen integriert sind. Um die naturnahe Atmosphäre zu unterstreichen, wurde die Wand mit Buchenholz eingerahmt, das ein Kollege aus eigenem Bestand beisteuerte.
Nach der Hängung und Befüllung der Pflanztaschen mit einem Substrat, das zum Auflockern mit 30% Bims versetzt wurde, ging es an die Auswahl der Pflanzen. Nun konnte das eigentliche Vergnügen beginnen! Ein wilder Dschungel schwebte Lars Leonhard vor, ein dreidimensionales, lebendes Bild mit kletternden und hängenden Pflanzen, die sich durch unterschiedliche Größen, Blattformen, Panaschierungen und Oberflächen auszeichnen. Über 40 Arten, insbesondere Philodendron (Baumfreund), Anthurium (Flamingoblume) und Syngonium (Purpurtute), darunter viele kostbare „Schätzchen“, wurden eingepflanzt.
Zu dem Ergebnis kann man Lars Leonhard nur beglückwünschen. Die Wand ist ein absoluter Hingucker geworden und bietet manche Überraschung. Alleine 13 Philodendron Arten sind auf der Wand vertreten. Mit seinen Haftwurzeln klettert Philodendron in der Natur auf Bäumen, ohne ihnen dabei zu schaden. Dieser Eigenschaft verdankt die Gattung ihren deutschen Namen „Baumfreund“. Anthurium gracile ist eine Rarität aus den Regenwäldern Südamerikas mit länglichen, hängenden Blättern. Sie ist sebstbefruchtend, die roten Beeren an ihren Blüten sind ein schöner Blickfang, sie wird deshalb auch „Rote Perlenanthurie“ genannt. In der Wand hat sie bereits geblüht, der Nachwuchs ist auf dem Weg!
Dank des üppigen Wuchses kann man die Pflanztaschen kaum noch erkennen. Dazu trägt auch Ficus pumila, die Kletterfeige mit ihren herzförmigen Blättern und kriechendem Wuchs bei, die ideal zum „Verstecken“ von Pflanzgefäßen ist. Man kann sich kaum vorstellen, dass ihre Verwandten Ficus benjamini, die Birkenfeige, und Ficus elastica, der Gummibaum, sind. Monstera adansonii aurea variegata ist wegen ihrer gelben Panschierung sehr selten und kostbar, und Syngonium batik fällt durch ihre ausdrucksstarke Äderung auf einem üppigen grünen Blatt auf. An der Seite wuchert Nephrolepsis cordifolia, ein immergrüner, als Zimmerpflanze beliebter Farn. Neben der Wand rundet eine Monstera deliciosa, das Köstliche Fensterblatt, das grüne Bild ab. Täglich wird die Wand mit Hilfe eines Schlauchs bewässert und einmal im Monat gedüngt. Zur Abwehr von Schädlingsbefall wird unter anderem der Australische Marienkäfer eingesetzt.
Nicht erst seit dem covidbedingten Lockdown erleben Zimmerpflanzen eine wahre Rennaissance. Pflanzen sind gut für die Seele, sie verbessern das Raumklima, da die Pflanzen die Luftfeuchtigkeit steigern, sie wirken lärmdämpfend und fördern ein beruhigendes natürliches Klima. Damit sind die vertikalen Wände ideal für Büros, um die Arbeitsumgebung, das Wohlbefinden der Mitarbeiter und die Gesundheit zu fördern. Aber auch an anderen Stellen, wo Beton vorherrscht, werden sie zunehmend als Oasen der Entspannung realisiert. Als Erfinder der vertikalen Gärten gilt der französische Botaniker Patrick Blanc, ein international bekannter Gartenarchitekt und -künstler. Der Franzose, dessen Markenzeichen grün eingefärbte Haare sind, entwickelte ein Verfahren, das die senkrechte Bepflanzung von Mauern und Hauswänden erlaubt. Seine bewunderten Arbeiten sind weltweit in großen Metropolen zu sehen. In Deutschland hat er eine Wand im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin und eine Wand im Flughafen Frankfurt eingerichtet.
Auch die lebende Wand im Botanischen Garten ist ein Kunstwerk geworden, dass nicht nur von den Kollegen geschätzt wird. Sie erlaubt auch den Auszubildenen im Garten, die zu Staudengärtnern ausgebildet werden, den Einblick in den Zierpflanzenbereich. Gemeinsam mit Lars Leonhard haben sie die Pflanzen eingesetzt und helfen bei der Betreuung. Ihre Begeisterung ist so groß, dass sie sich inzwischen in der Wand mit eigenen Pflanzen verewigen. „Liebesschlösser“ nach Gärtnerart!
Der Botanische Garten verfügt nicht über eine Tropenhalle. Die Wand wurde deswegen in der Ausbildungshalle eingerichtet, die für Besucher nicht zugänglich ist.