Smartphone trifft Alraune

Im digitalen Apothekergarten

Mythen, Magie und kultische Rituale gehen oft Hand in Hand mit dem Wissen um die Heilwirkung von Pflanzen, die über Jahrhunderte von Jahren weitergegeben wurde. Die Heilpflanzenkunde kann als eine der ältesten Wissenschaften überhaupt angesehen werden. Im Botanischen Garten verweist der Apothekergarten auf die Ursprünge Botanischer Gärten, deren wichtigster Zweck früher die Ausbildung von Medizinern und Apothekern war. Obwohl der Arzneimittelmarkt seit Beginn des letzten Jahrhunderts zunehmend von chemisch-synthetischen Arzneistoffen dominiert wird, da sie genauer dosiert und in größeren Mengen hergestellt werden können, sind Arzneimittelpflanzen für die Medizin unentbehrlich. Studierende der Pharmazie lernen daher auch heute noch während ihrer Ausbildung die wichtigsten pharmazeutisch relevanten Pflanzen und ihre Charakteristika kennen.

Smartphone trifft Alraune! Pflanzen folgen den Jahreszeiten und sind im Garten nicht immer sichtbar. Ganz zeitgemäß wurde daher für den Botanischen Garten in Ergänzung zum real existierenden Apothekergarten ein digitaler Apothekergarten entwickelt. In einer Datenbank sind über 200 pharmakologisch relevante Pflanzen beschrieben, die im Botanischen Garten wachsen. Neben ausführlichen Informationen zu Inhaltsstoffen, Drogen und Anwendung sind auch Bilder der Pflanzen gespeichert. Im Apothekergarten weisen Pflanzenschilder und große Tafeln am Eingang QR-Codes zu jeder Pflanze auf, die über ein Smartphone eingelesen werden können und automatisch mit der Datenbank verbinden. Die Datenbank ist aber auch mit jeder anderen Internetverbindung zu erreichen. In so einer beeindruckenden Sammlung darf Mandragora officinarum, die Gemeine Alraune, eine der berühmtesten magischen Pflanzen überhaupt, natürlich nicht fehlen.

Zurzeit entwickeln sich die jungen Alraunen im Apothekergarten in dichten Rosetten. Wer genauer hinschaut, kann noch letzte Blüten entdecken. Ihre Wirkmächtigkeit sieht man der Alraune nicht an. Mandragora officinarum, die Gemeine Alraune, gehört zur Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae). Die Kurzbeschreibung der Datenbank sagt: „Bis zu 60 cm lange, fleischige, dicke Wurzel. Kurzgestielte, eiförmig-längliche, oft gekerbt,gezähnte Blätter. Blüten einzeln, gestielt, grüngelb. Frucht eine gelbe kugelige Beere mit einem Durchmesser von 2-4 cm, Droge mandragorae radix/herba“. Sie ist in milden Gegenden Mitteleuropas heimisch und winterhart.

So weit die nüchternen wissenschaftlichen Fakten. Historisch gesehen gehört die Alraune zu den ältesten Arzneipflanzen überhaupt, die als Heil- und Zauberpflanze eine Jahrtausende alte Historie hat. Durch ihre giftigen Alkaloide wirkt sie stark beruhigend bis berauschend und halluzinogen, schmerzstillend und abführend. Bereits vor über 4000 Jahren wurde sie von den Ägyptern als Liebestrank und Schlaf- sowie Schmerzmittel verwendet. Ihre außergewöhnliche Stellung als magische Pflanze verdankt sie aber nicht nur ihren medizinischen und psychoaktiven Eigenschaften, sondern auch ihrem Aussehen: ihre oft gegabelten Wurzeln können den Beinen eines menschlichen Körpers ähneln.

Um das „Alraunenmännchen“ ranken sich unzählige Legenden und Mythen. So soll sie eine der Zutaten für die „Flugsalbe“ gewesen sein, die Hexen und Zauberen einen Ritt durch die Lüfte ermöglichte. Bereits in der Antike kursierte der Glaube, dass die Alraunenwurzel aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit dem menschlichen Körper einen tödlichen Schrei ausstoßen würde, wenn man sie entwurzelte und dabei jeden, der sie hörte, tötete. Deshalb konnte die Wurzel nur mit Hilfe aufwendiger Rituale geerntet werden. Bei den Gebrüdern Grimm wird sehr ausführlich ein Trick beschrieben, um an die kostbare Wurzel zu gelangen. Man sollte einen Hund mit einem Strick an die fast ausgegrabene Wurzel binden, ihm etwas Futter außerhalb seiner Reichweite zuwerfen, um dann schnell wegzulaufen. Der arme Hund riss die Wurzel heraus, um an das Futter zu gelangen, hörte den Schrei und starb bald darauf. Sein Herr überlebte und konnte mit der Wurzel sein Glück machen. Doch damit nicht genug. Es kam auch auf den richtigen Ort an. Zaubermächtige Alraunen, „Galgenmännchen“, konnte man laut den Gebrüdern Grimm nur unter Galgen finden. Die eher unappetitliche Begründung möchte ich an dieser Stelle nicht wiederholen. Bei richtiger Pflege und unter Einhaltung aller Vorschriften konnte die Wurzel als glücksbringendes Zaubermittel seinem Besitzer Gesundheit, Reichtum und Kindersegen bringen. Kein Wunder, dass viele Scharlatane Fälschungen gegen teures Geld unter das Volk brachten.

Heute wird die Alraune vorrangig in der Homöopathie eingesetzt. Dennoch ist gerade die Legende um ihren tödlichen Schrei dank Harry Potter vielen, vor allem jüngeren Menschen, präsent. J. K. Rowling hat in ihrem Romanzyklus auf die Legende zurückgegriffen. Im zweiten Jahr ihrer Ausbildung an der Zauberschule Hogwarts müssen Harry, Ron und Hermine junge Alraunen umtopfen. Auch für angehende Zauberer ein gefährliches Unterfangen! Professor Pomona Sprout lässt ihre Zöglinge daher eng anliegende Ohrenschützer tragen, um sie vor den Schreien zu schützen. Wundern wir uns also nicht, wenn bei der Arbeit im Botanischen Garten Ohrenschützer eingesetzt werden!

Der digitale Apothekergarten kann unter
www.digitalerapothekergarten.uni-duesseldorf.de
aufgerufen werden.

Mein Wissen über den digitalen Apothekergarten verdanke ich dem auch ansonsten sehr empfehlenswerten Buch „Erlebnis Garten, Der Botanische Garten der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf“ von Sabine Etges und Martin Jahns.
Bei den Recherchen zur Alraune war u.a. ein Beitrag des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt hilfreich.

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