Leicht und luftig steht sie da und ihr Alter sieht man ihr wahrlich nicht an. 1975, also vor fünfzig Jahren, wurde das Kuppelgewächshaus im Botanischen Garten nach nur einjähriger Bauzeit, und damit vier Jahre vor Eröffnung des Botanischen Gartens, fertiggestellt. Das muss mit einer kleinen Laudatio gefeiert werden!
Nicht umsonst ist die Kuppel im Eingangsbereich das Wahrzeichen des Gartens. Ihre Schönheit und Anmut verdankt sie einer besonderen Bauweise. Das halbkugelförmige Gewächshaus wurde als sogenannte geodätische Kuppel errichtet, ein Prinzip, das Mitte des 20. Jahrhunderts von dem amerikanischen Architekten und Philosophen Richard Buckminster Fuller entwickelt wurde. Geodätische Kuppeln sind Konstruktionen von sphärischen Kuppeln mit einer Gitterschale aus Dreiecken von unterschiedlicher Größe, die zu Fünf- und Sechsecken zusammengefügt sind und eine komplexe Struktur bilden. Aus diesem Blickwinkel haben bislang vermutlich nur mathematisch interessierte Besucher die Kuppel bewundert. Wer sich wie ich schwer „tut“ mit Euklid, muss sich nur den Aufbau eines Fußballs vor Augen führen. Ein Fußball ist die wohl einfachste Form einer geodätischen Kuppel!
Optimale Belichtung und bestmögliche Raumnutzung wünschten sich die Botaniker für ihr Gewächshaus. Vorgaben, die durch das Anwenden des Prinzips der geodätischen Kuppel erfüllt werden konnten. Das Gewächshaus besteht aus einer äußeren Kuppel aus Stahlrohr, die eine innere Kuppel aus Aluminiumsprossen mit Acrylverglasung umschließt. Die auch heute noch hochmoderne Leichtbauweise hält zudem großen Temperaturschwankungen, Windbelastungen und Schneelast stand. Und ein Eyecatcher ist sie allemal.

Der Bau, der in gerade einmal einem Jahr errichtet wurde, ist ein kompliziertes Meisterwerk. 1000 m² Grundfläche werden ohne Stützen von einem lichten Dom überwölbt. Kein Wunder, dass die Anlieger den Eindruck hatten, auf dem damals noch als Bau- und Lagerplatz genutzten späteren Gelände des Botanischen Gartens sei ein Ufo gelandet.





An dieser Stelle können nur die wesentlichen technischen Eckdaten beschrieben werden. Eine anlässlich des Geburtstages im Vorraum zum Gewächshaus angebrachte Informationstafel erklärt anschaulich und mit vielen Aufnahmen aus der Bauphase den Aufbau der gesamten Anlage. Ein lohnenswerter Abstecher, den Sie bei Ihrem nächsten Besuch des Botanischen Gartens unbedingt einplanen sollten.
Zur Aufnahme der Kuppelkonstruktion wurde zunächst ein ca. 4 m hohes Ringfundament aus Stahlbeton gegossen. Punktfundamente auf dem Betonring tragen die äußere Stahlwerkkonstruktion, die leicht an ihrer gelben Einfärbung erkennbar ist. Danach wurden die Scheiben in Aluminiumrahmen eingesetzt und und anschließend an Abstandshaltern im Inneren der Stahlkonstruktion befestigt. Für ein gesundes Pflanzenwachstum wurden UV-durchlässige, gewölbte Fenster aus Acrylglas eingebaut. Insgesamt wurden 630 Scheiben in zehn verschiedenen Größen verbaut. 92 Fenster dienen als Lüftungsklappen, die nach außen geöffnet werden können. Ein Kompliment an die beteiligten Handwerker, dass sie bei der Fülle an unterschiedlichen Dreiecken, Stangenlängen und Fenstergrößen nicht den Überblick verloren haben!

Bevor die Pflanzen einziehen konnten, wurde das Innere des Ringfundamentes mit ca. 4000 Kubikmetern Substrat aufgefüllt, so dass die Pflanzen bis an das Grundwasser gelangen können. Den ältesten Bewohnern des Hauses dürfte dies vermutlich inzwischen gelungen sein. Geschwungene Wege wurden modelliert, die zu einem Spaziergang durch die Kuppel einladen. Sieben Gebiete von den Kanarischen Inseln bis zu Neuseeland können erkundet werden, deren Pflanzen ein Mittelmeerklima oder ähnliche Bedingungen benötigen. Diese Voraussetzungen werden in der Kuppel, die ein sogenanntes „Kalthaus“ ist, erfüllt. Im Sommer ist keine Beheizung notwendig, im Winter muss jedoch eine Temperatur von 6°C gehalten werden. So kann man neben vielen anderen Gewächsen große Drachenbäume der Kanaren, Japanische Kamelien, Brotpalmfarne und Grasbäume aus Australien bewundern. Da die vielen verschiedenen Pflanzen in der Kuppel sehr individuelle Kulturbedürfnisse haben, werden die Pflanzen von Hand gewässert; eine Beregnungsanlage kommt nicht zum Einsatz.






Zu den beeindruckendsten und ältesten Pflanzen in der Kuppel gehört sicherlich die Taiwanie (Taiwania cryptomerioides), die sich mittlerweile zum wahrscheinlich größten Exemplar in ganz Mitteleuropa entwickelt hat. Im Jahr 2004 bildete sie Zapfen und wurde damit zu einer wahrhaftigen botanischen Sensation. Aufgrund von Hinweisen in der Literatur ging man bis dato davon aus, dass Taiwanien erst nach mehreren Jahrhunderten zur Blüte kommen. Ihre ungewöhnliche Blühfreude verdankt sie sicherlich zum einen den hervorragenden Bedingungen in der Kuppel. Aber das Lob gebührt nicht nur dem Gewächshaus, sondern auch den Menschen, die die Kuppel betreuen.


Die neue Informationstafel wird angeliefert, Lars Leonhard bei der Arbeit
In guten Händen! Drei Gärtner in Folge haben sich seit der Eröffnung um die Pflege und das Gedeihen der ihnen in der Kuppel und Umgebung anvertrauten Pflanzen gekümmert. Diese Kontinuität hat sich ausgezahlt, denn man muss sich zunächst mit den in der Kuppel herrschenden Bedingungen vertraut machen. Seit 1999 ist Lars Leonhard für die Kuppel zuständig. Im Anschluss an eine Lehre im Botanischen Garten als Zierpflanzengärtner wurde ihm die Arbeit in der Kuppel übertragen, eine Tätigkeit, vor der er großen Respekt hatte und die er auch heute noch mit Zuwendung ausübt. Voller Begeisterung erzählt er von seinen Lieblingspflanzen, den Banksien (Banksia), die in Australien beheimatet sind und von denen etliche in der Kuppel zu finden sind. Beim Rundgang durch die Kuppel, bei dem man streckenweise den Eindruck hat, durch einen Dschungel zu gehen, wird deutlich, was Lars Leonhard meint, wenn er von der Demut des Menschen gegenüber der Natur spricht. Man muss sich auch zurücknehmen können und wachsen lassen, was wachsen möchte, den Pflanzen nicht unseren Willen aufdrängen und bei Eingriffen behutsam vorgehen. Die Pflanzen in der Kuppel danken es ihm.
