Totholz – Lebendiger Lebensraum

Ordnung ist nicht immer das halbe Leben

Zugegeben: unter ästhetischen Aspekten sehen sie nicht gerade ansprechend aus, die fünf Baumstümpfe der Wald-Kiefer (Pinus sylvestris), die hinter dem Alpinum in den Himmel ragen und deren Kronen wegen Pilzbefalls abgesägt werden mussten. Bei näherer Beschäftigung mit dem Thema Totholz wird aber sehr schnell klar, dass Kritik am Erscheinungsbild der „Restbäume“ entkräftet werden kann. Als sogenanntes Totholz sind sie für viele Lebewesen, die auf Totholz als Lebensraum und Nahrungsquelle angewiesen sind, von existentieller Bedeutung.

Obwohl es ein Paradoxon ist, Totholz gehört zu den lebendigsten Lebensräumen unserer Natur, es ist der letzte Entwicklungsprozess im Leben eines Baumes, quasi der letzte Dienst, den ein Baum dem Ökosystem erweist. Man versteht unter dem Sammelbegriff Bäume oder Teile davon, die abgestorben sind. Man unterscheidet zwischen „stehendem Totholz“ , wozu auch abgestorbene Äste an noch lebenden Bäumen gehören und „liegendem Totholz“, das bereits auf der Erde liegt. Absterbende und abgestorbene, aber noch nicht gestürzte Bäume wie die Wald-Kiefern im Botanischen Garten können Habitat, Nahrungsquelle, Nistgelegenheit, Rückzugsgebiet oder Sitzwarte sein. Unter günstigen Klimabedingungen kann ein toter Baum noch jahrzehntelang stehen bleiben.

Ein natürlicher Alterstod, vor allem aber auch Massenvermehrungen von dem Baum schadenden Insekten, Sturm- und Schneebruch oder Blitzschläge führen zu abgestorbenen Bäumen, die durch ihren Tod jedoch nicht nutzlos werden, sondern vielmehr einen bedeutenden Platz im Kreislauf der Natur einnehmen. Totholz wird von einer Vielzahl von Organismen genutzt, wobei jeder Totholztyp eigene Lebensgemeinschaften beherbergt. Viele Tiere und Pflanzen, die auf Totholz angewiesen sind, stehen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten. Diese Arten sind in ihrer Lebensweise hochgradig von bestimmten Zerfalls- und Zersetzungsphasen von Holz abhängig . Dazu gehören Pilze, Flechten, Moose, Farne und viele Insekten. Aber auch Vögel, Säugetier, Reptilien und Amphibien profitieren vom Totholz. Je nach Holzart und Zersetzungsgrad sind etwa 600 Großpilzarten und rund 1350 Käferarten an der vollständigen Remineralisierung eines Holzkörpers beteiligt.

Der Abbau von Holz, der sich in drei Phasen unterteilen lässt, ist ein langsamer Prozess, der je nach Holzart und Mikroklima unterschiedlich viel Zeit in Anspruch nimmt. Buchen werden rasch zersetzt, während das Holz der Eiche dichter und widerstandsfähiger ist und der Vorgang Jahrzehnte dauern kann.

Lucanus cervus, der Hirschkäfer

In der ersten Phase wird das Frischholz von Pionierinsekten, den primären Xylobionten, besiedelt, die in den frisch abgestorbenen Holzkörper eindringen. Hierzu gehören vor allem verschiedene Käferarten wie die Borkenkäfer oder die Bock- und Prachtkäfer sowie die Holzwespen. Für sie sind die kurz nach dem Absterben des Baumes in seiner Borke noch befindlichen energiereichen Verbindungen wie Stärke oder Zucker eine attraktive Nahrungsquelle. Dieser Zeitraum kann sich, zum Teil unterstützt von symbiontischen Pilzen, über mehrere Jahre erstrecken. Erste Teile der Rinde vom Holz lösen sich und die Pioniere erschließen durch ihre Bohr- und Fresstätigkeit das Holz für weitere Insekten und für Pilze. Die Insekten locken Spechte an, die durch ihre Frasslöcher das Eindringen von Pilzsporen fördern und auf diese Weise den Holzabbau beschleunigen.

In der zweiten Phase beginnt der Zerfall des Holzes. Zweige und Äste fallen ab, die Rinde löst sich gänzlich vom Stamm. Pilze und Bakterien beginnen das Holz abzubauen. Und auch das Insektenspektrum verändert sich, die sekundären Xylobionten erobern das Totholz. Sie benötigen die bereits vorhandene Bohrgänge, ernähren sich sich von den primären Xylobionten oder leben von Pilzen. Wiederum sind es viele Käferfamilien, die in dieser Phase dominieren, es entwickeln sich aber auch viele Fliegen- und Mückenarten ind den Gängen und im Mulm.

In der dritten Phase, der Humifizierungsphase, zerfällt das Holz und geht langsam in Boden über, der zu einem großen Teil aus dem Kot der bisherigen Besiedler besteht. Würmer, Schnecken und andere Bodenlebewesen steigen in das Moderholz auf, zerkleinern die Partikel und machen sie für Mikroorganismen besser zugänglich. Es sind aber vor allem die Pilze, die Zellulose und Lignin abbauen und den Mulm in Humus überführen. Dieser bietet ein nährstoffreiches Keimbett für nachwachsende Pflanzen, der Kreislauf beginnt von Neuem.

Totholz ist ein entscheidender Faktor für die Artenzusammensetzung und die Häufigkeit der Brutvögelgemeinschaft von Wäldern. Ca. 20 Prozent der Waldfauna lebt direkt oder indirekt vom Totholz und findet im Totholz eine für sie ideale Habitatnische. Dennoch ist Totholz in unseren Wäldern auf dem Rückmarsch. Während man in mitteleuropäischen Urwäldern den Anteil von Totholz auf ca. 10-30 Prozent schätzt, beträgt er in unseren Wirtschaftswäldern nur noch ein bis drei Prozent und führt damit zu einem Rückgang der Biodiversität. Aufgrund der überwiegend forstwirtschaftlichen Nutzung unserer Wälder dient der Wald vorrangig ökonomischen Interessen und der Erzeugung wertvollen und damit gesunden Holzes. Dem natürlichen Alterstod wird damit vorweg gegriffen, der Anteil von Totholz sinkt. Damit der Spagat zwischen Waldnaturschutz auf der einen Seite und wirtschaftlichen Interessen auf der anderen Seite zum Erfolg führt, könnten vor allem zwei Strategien zum Ziel führen. In bewirtschafteten Wäldern, hierunter fallen die meisten Wälder Deutschlands, sollte es zu einem Kompromiss zwischen Naturschutz und Forstwirtschaft kommen. Parallel dazu sollte auf repräsentativen Flächen wie den Nationalparks ein Bewirtschaftungsverzicht erfolgen. Gemäß Biodiversitätsstrategie Nordrhein-Westfalen (Stand 2015) müssen Alt- und Totholzstadien in einem ausreichenden Flächenumfang mit entsprechender räumlicher Verteilung in Zukunft gesichert und gefördert werden.

In öffentlichen Grünanlagen und in privaten Gärten wird Totholz meist entfernt, weil es als wenig attraktiv angesehen wird. Aber auch hier könnte ohne großen Aufwand mit abgestorbenem Holz, Wurzeln und Astschnitt ein Beitrag zur Artenvielfalt geleistet werden. Denken wir also um! Der Spruch „Ordnung ist das halbe Leben“ gilt eben nicht immer.

Beim Verfassen dieses Beitrages habe ich auf viele Quellen zurückgegriffen, unter anderem auf
www.deutschewildtierstiftung.de/aktuelles/totholz
www.wald.de/waldwissen
www.forsterklaert.de/totholz
www.deutschewildtierstiftung.de/aktuelles/totholz
www.totholz.wsl.ch/de/totholz
www.wikipedia.org/wiki/totholz

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