Auf dem Flug zu neuem Leben

Verbreitungsstrategien von Pflanzen

Nun schrauben sie sich wieder durch die Luft, gleiten dahin, drehen ihre Pirouetten und begeistern durch ihre kunstvollen Flüge: die Samen der Flügelflieger, zu denen Ahorne, Linden, Hainbuchen und Ulmen gehören. Angeregt durch den Workshop „Flieg Engelchen flieg …“, den Professor Klaus Lunau im Rahmen der diesjährigen Herbst Kinder-Universität veranstaltet hat, habe ich mich mit Verbreitungsstrategien von Pflanzen durch den Wind beschäftigt. (Titelfoto: Acer monspessulanum)

Fest verwurzelte Pflanzen können nur über ihre Nachkommen wandern. Sie haben deshalb vielfältige, oft von hoher technischer Raffinesse geprägte Strategien entwickelt, um ihre Diasporen (Pflanzenteile, die sich zur Verbreitung und Vermehrung vom Pflanzenkörper abtrennen wie Samen oder Früchte) zu verbreiten. Ihre „Trickkiste“ reicht von Klebe-und Klettverschlüssen zum Andocken als blinde Passagiere über Flug-, Schwimm- und Schleudertechniken bis hin zur Wanderung durch den Darm von Tieren. Bei der Selbstausbreitung (Autochorie) erfolgt die Ausbreitung selbständig durch die Mutterpflanze zum Beispiel durch aktives Wegschleudern von Samen ( Impatiens noli-tangere, „Rühr-mich-nicht-an“) oder durch vegetative Ausbreitung mit Hilfe von Ablegern, die sich von der Mutterpflanze trennen.


Bei der Fremdausbreitung (Allochorie) ist die Pflanze zur Verbreitung von Früchten und Samen auf Kräfte angewiesen, die außerhalb ihres Einflussbereiches liegen wie Wind, Wasser oder Tiere. Dabei ist die Anemochorie, die Windausbreitung, die ursprünglichste Form der Ausbreitung von Pflanzen. Sie wurden schon von den ersten Landpflanzen der Erde genutzt. Moose und Farne, die ersten Landpflanzen, bilden zur Verbreitung Sporen aus. Die späteren Gruppen verbreiten sich über Samen (Nacktsamer z.B. Nadelbäume wie die Kiefer) oder über Samen in Früchten (Bedecktsamer wie z.B. Laubbäume und Blütenpflanzen). Gewicht und Form der Samen, Windstärke und Höhe über dem Boden machen nahe oder weitere Ausbreitungen möglich, wobei die „Leichtgewichte“, was den Ausbreitungsradius anbelangt, deutlich im Vorteil sind. Man unterscheidet Windflieger ( Meteorochorie ), Windstreuer (Boleochorie) und Bodenläufer (Chamaechorie).

Zu den Windfliegern (Meteorochorie) gehören Ballonflieger und Blasenflieger, Haarflieger, Schopf- und Schirmflieger, Flügelflieger und Körnchenflieger. Typisch für meteorochore Pflanzen ist, dass die Diasporen ihre Sinkgeschwindigkeit herabgesetzt haben, indem sie durch luftgefüllte Hohlräume ihr spezifisches Gewicht reduzieren und /oder durch verschiedene Ausbildungen der Oberfläche wie Flügel, Flughaare oder Fallschirme ihren Luftwiderstand vergrößern. Der berühmteste Vertreter ist vermutlich der Löwenzahn, der zur Gruppe der Schirmflieger gehört und als Pusteblume Kinder entzückt, durch die Effektivität seiner Samenverbreitung jedoch Liebhaber von englischem Rasen zur Verzweiflung bringen kann.

Besonders schön kann man jetzt im Herbst die Flügelflieger, die mit den Prinzipien des Auftriebs arbeiten, beobachten. Man unterscheidet zwischen Schraubenfliegern und Gleitfliegern.
Gleitflieger, zu denen die Birke und die Ulme gehören, zeichnen sich durch eine segelnde Flugweise aus. Der Schwerpunkt liegt in der Mitte der Flügel. Der Gleitflug kommt durch den zentrischen Bau der Flügel zustande. Die hauchdünnen, mit Adern verstärkten Flügel haben eine große Oberfläche, sind dabei aber sehr leicht. Durch das Prinzip der Oberflächenvergrößerung wird die Sinkgeschwindigkeit des Samens stark verringert. Sie können damit im Vergleich zu ihrer eigenen Masse ziemlich schwere Lasten tragen. Damit sind die Gleitflieger in vieler Hinsicht sogar vollkommener als die der Technik. Der prächtigste und bekannteste Gleitflieger ist der Samen der Java-Gurke (Alsomitra macrocarpa), eine tropische Liane, deren Samen Igo Etrich und Franz Wels 1906 als Vorbild für ihren Gleitflieger diente.

Alsomitra Samen im Vergleich mit 5 Cent Münze

Alsomitra Samen im Vergleich mit 5 Cent Münze

Ahorne, Linden, Hainbuchen und Koniferen, um nur einige zu nennen, sind Schraubenflieger, die meist wie ein Rotorblatt nach dem Prinzip der Autorotation funktionieren. Sie haben einen langen Flügel, an dessen Ende der Samen liegt. Der Schwerpunkt liegt außerhalb der Mitte. Nach einem kurzen Sturzflug geht er über in eine spiral- und schraubenförmige Bewegung. Er dreht sich um seine eigene Achse und schraubt sich zusätzlich in einer großen Spirale nach unten. Bei der Hainbuche dient eine dreilappige Schuppe einer Nuss als rotierendes Flugorgan. Bei den Linden ist die Diaspore ein ganzer aus gestielten Nüssen bestehender Fruchtstand. Und bei der Kiefer reifen die Flugsamen in einem verholzenden Zapfen über mehrere Jahre heran.


Besonders interessant sind die Flugeigenschaften der Ahornsamen, die als Vorlage für den Propellerbau dienten. Ahorne bilden Spaltfrüchte in der Form zweiteiliger Flügelnüsse. Am Winkel der beiden Teilfrüchte zueinander können die drei bei uns heimischen Ahornarten unterschieden werden. (Feld-Ahorn ca. 180°, Spitz-Ahorn ca. 90-180° , Berg-Ahorn ca. 90°). Einen in Bezug auf ihre Größe und Geschwindigkeit verhältnismäßig starken Auftrieb erreichen die Samen, indem sie an den Oberkanten der Blätter tornadoartige Wirbel erzeugen, die sie nach oben ziehen. Insekten, Fledermäuse oder auch Kolibris nutzen dieselbe Technik.

Im eingangs erwähnten Workshop wurden markierte Samen von einem hochgelegenen Startplatz freigelassen und die zurückgelegte Strecke in Abhängigkeit von der Fallhöhe gemessen. Ziel der Versuche war es, herauszufinden, welche Eigenschaften der Samen für ihre Verbreitung wichtig sind. Wäre das nicht auch ein schöner „Feldversuch“ für Sie? Man braucht zur Legitimation nicht unbedingt Kinder!

Der Botanische Garten bietet ein umfangreiches Programm für jede Altersstufe an. Im Rahmen der sogenannten Kinder-Universität finden in den Schulferien Workshops oder Führungen für kleine Gruppen statt, in denen Kinder selber zu Entdeckern werden können. Durch die Förderung des Freundeskreises sind die Kinder-Uni ebenso wie die öffentlichen Führungen kostenfrei.

Mein Dank geht an Dr. Sabine Etges, Kustodin des Botanischen Gartens, für die Unterstützung bei der Realisation des Beitrages. Sie hat auch wunderbare Aufnahmen beigesteuert.

Bei der Erstellung des Beitrages habe ich insbesondere auf folgende Quellen zurückgegriffen:
Claudia Erbar & Peter Leins: Wie mobil sind Pflanzen? Heidelberger Jahrbücher online, Band 3, 2018
www.leifiphysik.de, Stichwort Bionik Flugfrüchte
www.biologie-seite.de, Stichwort Meteorochorie
www.wikipedia.org, Stichwort Meteorochorie

Ein Gedanke zu „Auf dem Flug zu neuem Leben

Verbreitungsstrategien von Pflanzen

  1. Liebe Frau Eckert-Schweizer, vielen Dank für die Übersicht über Samen- und Fruchtausbreitungsmöglichkeiten bei Pflanzen.
    Und vielen Dank an die Kinder, die am Workshop “Flieg Engelchen flieg …” teilgenommen haben und mit viel Ideen und Einsatz Experimente geplant und durchgeführt haben. Das Schönste war, dass die Selbstwirksamkeit und die Freude am Tun als Belohnung völlig ausreichten. Klaus Lunau

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