Sicherlich nicht nur für mich sind Bauerngärten, so wie wir sie heute kennen, Romantik pur. Klar gegliederte, überbordende Beete, gefüllt mit Gemüse, Kräutern, Beerenobst und durchmischt mit reich blühenden, „altmodischen“ Blumen stillen die Sehnsucht nach einem naturnahen Leben. Ruft man in einer der Suchmaschinen den Begriff „Bauerngarten“ auf, findet man auf den ersten Blick zahllose Ratgeber, wie ein traditioneller Bauerngarten angelegt werden sollte. Gräbt man jedoch ein bißchen tiefer, dann stellt man fest, dass der Bauerngarten – nach unserem heutigen Verständnis der bestimmte Stil eines Hausgartens – keine eindeutig definierbare, historisch gewachsene Gartenform ist. Der Begriff Bauerngarten als eigenständiger Typus entwickelte sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts und wird heute synonym sowohl für den Gartenstil als auch für den ländlichen bäuerlichen Garten benutzt.
Ich möchte nicht verschweigen, dass mich dieses (selbst ausgewählte) Thema, das sich zunächst so „einfach“ anhörte, streckenweise an den Rand der „Verzweiflung“ gebracht hat, denn den „typischen“ Bauerngarten als allgemein verbindlichen, Zeit und Wandel überdauernden Typ gibt es nicht. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts steht der Begriff „Bauerngarten“ allgemein für Gärten, die von Bauern angelegt und bewirtschaftet wurden. Es handelte sich um eine umgrenzte Ackerfläche, die der Selbstversorgung diente. Der Anbau von Nutzpflanzen stand im Vordergrund, Zierpflanzen und eine Ordnung nach ästhetischen Prinzipien spielten kaum eine Rolle. Dennoch lohnt ein Blick auf die Entwicklung der Gärten im germanischen Raum, um sich die Ursprünge von ländlichen Gärten bewußt zu machen.
Die Geburt unserer Gärten fand in die Jungsteinzeit (10.000 vor Christus) statt, als aus Nomaden sesshafte Bauern wurden, erste Nutz- und Heilpflanzen angebaut wurden und das bewirtschaftete Land zum Schutz vor Wildfraß mit Holzzäunen oder Sträuchern geschützt wurde. Diese Umfriedung war es auch, die dem „Garten“ seinen Namen gab. Aus dem indogermanischen „gher“ gleich „fassen“ entwickelte sich „ghortus“ , das Eingefasste, Eingefriedete, Geschlossene. Im Gegensatz zu Feld, Wald und Wiese, die zum Allgemeingut gehörten, war der umfriedete Bereich ebenso wie die Hofstatt Eigentum des bewirtschaftenden Germanen und heilig und unverletztbar. Mit dem, was wir heute unter Gärten verstehen, hatte dieses frühe Bauernland allerdings wenig gemein. Es war schlichtes Nutzland, auch wenn schon Getreide, Gemüse und Heilpflanzen wie Mohn angepflanzt wurden. Mit dem Vordringen der Römer veränderte sich der schmucklose Bauerngarten allmählich. Nicht nur Würz- und Heilkräuter und Blumen brachten die Römer mit, insbesondere erhielt der bis dahin als einziger Obstbaum kultivierte Holzapfel Gesellschaft durch hochwertige Obstsorten. Diese reiche Gartenkultur ging mit dem Rückzug der Römer und der Völkerwanderung weitgehend verloren.
In der Folgezeit wurden die Klöster Hauptträger der Gartenkultur in Europa. Im 8. und 9. Jahrhundert führten die Benediktiner und Zisterzienser den Gartenbau in Deutschland ein und spielten eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der Gärten. Mit ihrem umfangreichen Wissen über Land- und Waldwirtschaft erhielten sie die Gartenkultur. In den klösterlichen Nutzgärten wurden nicht nur Gemüse und Baumkulturen zur Selbstversorgung angelegt. Sie kultivierten auch Heilkräuter und Blumen und erforschten ihre Wirkung. Blumen dienten zunächst nicht vorrangig als Zierde, ihrem Duft wurde heilende Wirkung nachgesagt. Dieses Wissen führte auch zu einem sich stetig entwickelnden Pflanzenreichtum im ländlichen Garten. Aufschluss über die Entwicklung des Nutzgartens gibt die Landgüterverordnung von Karl dem Großen aus dem Jahr 812, in der 73 Nutzpflanzen und verschiedene Obstbäume bestimmt werden, die auf seinen Landgütern angebaut werden sollten. Man kann davon ausgehen, dass diese Güter auch Einfluss auf die ländlichen Gärten der Bevölkerung hatten. Zur weiteren Verbreitung von Pflanzen und Pflanzwissen trugen im Hochmittelater die Äbtissin Hildegard von Bingen und Konrad von Megenburg bei.
„Die alten Germanen lieferten den Zaun, von den Römern stammt das Obst, die Mönche des Mittelalters sorgten für Heilkräuter und kreuzförmige Wege, und der Adel steuerte den Buchsbaum bei – fertig war der Garten, dem die Bauern nur noch ihren Namen überlassen mussten: der alte Bauerngarten.“ * Ob es tatsächlich eine Verbindung der bäuerlichen Gärten in die antike oder mittelalterliche Vergangenheit gegeben hat, ist umstritten. Über den Verlauf der Entwicklung der ländlichen Gärten können nur Vermutungen angestellt werden, da bis in das 17. Jahrhundert Quellen über Art und Gestalt der ländlichen Gärten fehlen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass nach den Klostergärten später die Gärten der Pastoren, Lehrer und Apotheker und nicht zuletzt die Schulgärten Einfluss auf die Bauerngärten hatten. Um die Weiterentwicklung verfolgen zu können, müssen stets Parallelen zur Entwicklung dieser Gärten gezogen werden.
Eines scheint jedoch klar zu sein: der Bauerngarten, den wir heute üblicherweise vor Augen haben, ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Er hat keine Ähnlichkeit mit den tatsächlichen historischen Gärten aus dem ländlichen Raum, sondern ist ein sentimentaler Garten städtischer Sehnsüchte. Der Kunsthistoriker, Kunst- und Museumspädagoge und Direktor der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichwark (der später Max Liebermann bei der Anlage seines Gartens in Berlin Wannsee beriet), verwendete wahrscheinlich als Erster in Deutschland den Begriff Bauerngarten im heutigen Sinne. Bereits 1892 skizzierte er einen nach dem Vorbild von Gärten aus dem holländischen Barock inspirierten Garten. Er war gekennzeichnet von einer übersichtlichen Gliederung, geradlinigen Wegen, buchsbaumgefassten Rabatten, alten Bauernblumen und einem weiß gestrichenen Zaun. Daraus entwickelten sich seine Hauptkriterien für einen formalen Garten: die Bildung von Räumen nach ästhetischen Gesichtspunkten und deren Benutzbarkeit. Um 1910 wurden seine Gedanken zum Allgemeingut.
1913 wurde ein sogenannter „niederdeutscher Bauerngarten“ im Botanischen Garten in Hamburg errichtet, der als Schul- und Schaugarten auf relativ kleiner Fläche einen Bauerngarten abbilden sollte. In Anlehnung an barocke Vorbilder umfasste er folgende Elemente: Einfassung von einer Hecke, ein Wegekreuz mit einem Mittelrondell, buchsbaumgefasste Wege, Bepflanzung nach einer Pflanzliste von 1890, ergänzt um einige kulturgeschichtliche Pflanzen und einem gesonderten Beet für die Zusammenstellung der Kräuter für eine Aalsuppe. In der Folgezeit wurde dieser Idealtypus eines vermeintlichen Bauerngartens vom Nationalsozialismus verklärt und kam ab ca. 1980 im Rahmen einer mittelständischen Nostalgie wieder „in Mode“. Viele heutige Bauerngärten sind identische oder weiterentwickelte Kopien des Hamburger Muttergartens, auch wenn möglicherweise das Beet für die Zutaten zu einer Aalsuppe fehlt!
*Hermann Kaiser (Hrsg.): Bauerngärten zwischen Weser und Ems. 2. Auflage
Auf fogende Quellen habe ich im Wesentlichen zurückgegriffen:
Janke/Dominka/Scholze: Der Dorfschullehrergarten- Muesser Blätter des Freilichtmuseums Schwerin-Muess 2003. Hans-Helmut Poppendiek: Der erste Museums-Bauerngarten. In: Die Gartenkunst 4 (1/1992), S. 79–101. Doris Schulmeyer-Torres: Bauerngärten, Saarbrücken 1994